Energiesysteme neu denken – Optimierung sektorengekoppelter lokaler Energiesysteme

Energiesysteme neu denken – Optimierung sektorengekoppelter lokaler Energiesysteme

Für die Optimierung von industriellen Energiesystemen reicht die Betrachtung eines einzelnen Bereichs, zum Beispiel der Wärmeerzeugung, nicht aus. Die verschiedenen Energiesektoren sind über Erzeugungs­anlagen und Verbraucher eng gekoppelt, was zu einer hohen Komplexität bei der Analyse, Optimierung und beim Betrieb der Energiesysteme führt. Verbesserungen in einem Teilsystem führen in Bezug auf das gesamte System nicht unbedingt zu Effizienzerhöhungen und wirtschaftlichen Vorteilen, weshalb stets das Gesamtsystem betrachtet werden muss. Die Optimierungsziele Effizienzerhöhung, Lastspitzenreduktion und Eigen­verbrauchserhöhung führen häufig zu Widersprüchen. Am Fraunhofer IISB wurde daher die Plattform ToSyCo (TotalSystem-Control) zur Simulation und Steuerung sektorengekoppelter Energiesysteme entwickelt und erfolgreich validiert. Für das Reallabor IISB konnten durch die Betriebs­strategien aus ToSyCo Einsparpotentiale in Höhe von 25 % bezüglich des Leistungspreises und 6,5 % hinsichtlich des Arbeitspreises nachge­wiesen werden.

Durch die Reduktion von Lastspitzen und die Optimierung des Betriebspunkts von Erzeugungsanlagen können innerhalb lokaler Energiesystem wirtschaftliche Vorteile in Form von Kosteneinsparungen erreicht werden. Die Energiesysteme vieler Industrie- oder Produktionsbetrieben zeichnen sich dadurch aus, dass neben elektrischem Strom noch weitere Energieformen benötigt werden. Für die Beheizung, Luftaufbereitung oder auch für einzelne Prozesse wird Wärme auf verschiedenen Temperaturniveaus genutzt. Daneben ist aber auch Kälte notwendig, zum Beispiel für Klimatisierung und Prozesskühlung. Andere Anwendungen im Produktionsbereich werden mit Dampf, Druckluft oder Vakuum versorgt.

Komplexität durch Kopplung

Die einzelnen Energieformen und -netze sind über Erzeugungsanlagen und Verbraucher eng miteinander gekoppelt. Das führt zu einer Abhängigkeit der Teilsysteme untereinander. So wirkt sich eine Veränderung in einer Komponente oftmals auch auf andere Teilsysteme aus. Für eine ganzheitliche Optimierung muss deshalb stets das vollständige System betrachtet werden, was eine hohe Komplexität mit sich bringt.

Eine weitere Schwierigkeit stellen die verschiedenen Optimierungsziele dar, die sich gegenseitig auch im Weg stehen können. Ziele können zum Beispiel die Reduktion von Lastspitzen, die Erhöhung der Effizienz von Erzeugungsanlagen, die Erhöhung des Eigenverbrauchs selbsterzeugter Energie oder eine Kombination daraus sein. Gleichzeitig darf bei der Umsetzung der Ziele keine Gefährdung der Stabilität und Versorgungssicherheit entstehen. Zwischen den Optimierungszielen ergeben sich häufig auch Widersprüche. Beispielsweise sind bei der isolierten Betrachtung der Kälteanlagen Optimierungen bezüglich des Betriebspunkts möglich, im Gesamtkontext kann dies aber zu höheren Lastspitzen führen und die Kosten für elektrische Energie erhöhen.

Am Fraunhofer IISB wurde die Software-Plattform ToSyCo entwickelt, mit welcher die Simulation sowie die Steuerung eines solchen sektorengekoppelten Energiesystems mit verschiedenen Optimierungszielen ermöglicht wird. Die Algorithmen aus ToSyCo können so auf andere Energiesysteme adaptiert und in diese implementiert werden.

ToSyCo für sektorenübergreifende Energiesystemoptimierung

Mit Hilfe der Plattform TotalSystemControl (ToSyCo) zur Gesamtsystemsteuerung werden Zusammenhänge zwischen den (Teil-)Systemen identifiziert, intelligente Betriebsstrategien entwickelt und Optimierungsmaßnahmen validiert. Als Framework für ToSyCo wird ein Energiemonitoringsystem genutzt, in welchem alle energierelevanten Daten zusammenlaufen. Es wurden verschiedene Anlagen aus dem Reallabor für dezentrale Energiesysteme am Fraunhofer IISB in ToSyCo integriert: Ein Batteriespeichersystem mit einer Kapazität von 60 kWh (aktuell Ausbau auf 100 kWh), ein Großkältespeicher mit einem Volumen von 80 m³, ein Blockheizkraftwerk (BHKW) mit einer elektrischen Leistung von 150 kW und einer Wärmeleistung von 210 kW, zwei Wärmespeicher mit jeweils 12 m³ Volumen sowie eine Wärmepumpe mit einer Wärmeleistung von 50 kW. Die zukünftige Integration weiterer Anlagen, wie eine Redox-Flow-Batterie, ist bereits geplant und vorbereitet.

Die Betriebsstrategie wurde in zwei Ebenen aufgeteilt: Zum einen werden im Rahmen einer globalen Betriebsstrategie übergeordnete Funktionen ausgeführt. Dazu gehören die Lastprognosen der Energiebedarfe, das modellbasierte Fahrplansystem für Energiespeicher sowie die sektorenübergreifende Lastspitzenreduktion. Weiterhin werden verschiedene Preismodelle berücksichtigt. Neben dem Arbeitspreis (Entgelt für bezogene Energie) und dem Leistungspreis (Entgelt für höchsten Leistungsbezugs in einem Abrechnungszeitraum in Bezug auf die 15-Minuten-Mittelwerte) gehören zu diesen auch die Intensive und die Atypische Netznutzung. Die zweite Ebene beschreibt dagegen die Funktionalität der lokalen Anlagensteuerungen (z. B. SPS), zu welcher die Basis-Funktionen (z.B. Durchflussregelung, Motorklappenansteuerungen etc.), Sicherheitsfunktionen wie Messwertüberwachung und die Bedienung der Anlage gehören. Für den Fall von Kommunikationsstörungen ist auch eine eigenständige lokale Betriebsstrategie für jede Anlage vorhanden, welche den Betrieb auch bei einem Ausfall von ToSyCo sicherstellt – dann aber möglicherweise nicht im idealen Betriebspunkt.

Steigerung der Effizienz von Erzeugungsanlagen

Die Effizienz vieler Erzeugungsanlagen hängt maßgeblich vom Betriebspunkt ab. Bei einer Schraubenverdichter-Kältemaschine ist der Teillastbereich vergleichsweise ineffizient, mit der Erhöhung der abgegebenen Kälteleistung steigt auch die Effizienz der Kältemaschine. Weiterhin benötigt eine Kältemaschine ein sogenanntes Rückkühlwerk, mit welchem die aus dem Trägermedium (z. B. Wasser) entzogene Wärme an die Umgebung abgeführt wird. Ein Rückkühlwerk arbeitet, je nach eingesetzter Technologie, bei niedriger Außentemperatur und geringer Luftfeuchtigkeit am effizientesten. Im Rahmen von ToSyCo wurde eine Betriebsstrategie entwickelt, welche einen Kältespeicher unter optimalen Bedingungen be- und entlädt. Die Beladung findet unter Erhöhung der Kältemaschinenauslastung und priorisiert bei niedrigen Außentemperaturen statt. Dazu wird der optimale Beladungszeitraum basierend auf einer Last- und einer Wetterprognose bestimmt. Die Entladung des Kältespeichers erfolgt, wenn das Temperaturmaximum erreicht wird, die Rückkühlwerke also ineffizient arbeiten, oder bei auftretenden elektrischen Lastspitzen. Der erreichbare Effizienzgewinn durch diese Betriebsstrategie beträgt für die Kälteerzeugung des Reallabors IISB 21 %. Unter der Annahme, dass die Kältebereitstellung 30 % des elektrischen Energiebedarfs ausmacht, ist (abhängig vom Preismodell) so eine Reduzierung der Energiekosten um ca. 6,5 % möglich.

Sektorenübergreifende Lastspitzenreduktion

Um eine möglichst hohe und damit wirtschaftliche Lastspitzenreduktion zu erreichen, wurden im Rahmen von ToSyCo intelligente Algorithmen entwickelt, mit welchen auf eine Abschaltung von Produktionsanlagen vollständig verzichtet werden kann. Stattdessen werden die Infrastrukturanlagen, wie Batterie, BHKW und Kältespeicher zusätzlich zur Reduktion von Lastspitzen eingesetzt. Die nötigen Betriebsstrategien lassen sich auch in Bestandssysteme integrieren, wenn eine gewisse Flexibilität durch Energiespeicher gesichert ist. Es wird dabei unterschieden zwischen Lastspitzenreduktion durch Speicher, Erzeuger und Verbraucher. Mittels elektrischer Speicher ist eine direkte Lastspitzenreduktion möglich: Bei zu hohen Lasten werden Batterien durch optimierte Algorithmen entladen und in Niedriglastzeiten wieder beladen. Zusätzlich können Erzeuger zugeschaltet werden. So wird in ToSyCo die Speicherkapazität der Pufferspeicher des BHKW softwareseitig in zwei Bereiche unterteilt, wobei ein Bereich exklusiv für den Lastspitzenbetrieb reserviert wird. Der Normalbetrieb (in der Regel wärmegeführter BHKW-Betrieb) wird mit dieser Vorgehensweise nur sehr wenig beeinflusst. Im Lastspitzenfall wird durch das reservierte Volumen eine gewisse Laufzeit des BHKW sichergestellt. Die Parameter dazu werden durch mathematische Optimierungsverfahren und Maschinenlernverfahren (ML) bestimmt. Zuletzt können Verbraucher der Versorgungsinfrastruktur abgeschaltet werden, um die elektrische Leistungsaufnahme zu reduzieren. Mit Hilfe eines Kältespeichers wird die Abschaltung der Kältemaschine und des Rückkühlwerks während einer Entladung ermöglicht, auch hierfür werden die nötigen Randbedingungen innerhalb von ToSyCo berechnet und berücksichtigt. Mit Hilfe der vorgestellten Anlagen kann die Lastspitze des Fraunhofer IISB um etwa 25 % reduziert werden. Bei einer Lastspitze von einem Megawatt und einem angenommenen Leistungspreis von 100 Euro pro Kilowatt würde das einer Einsparung von 25.000 Euro pro Jahr entsprechen.

Bei der sektorenübergreifenden Lastspitzenreduktion verwendet ToSyCo ein modulares und erweiterbares Konzept. Alle verfügbaren und in ToSyCo integrierten Komponenten sind mit Prioritäten versehen und melden zu jedem Zeitpunkt die für die Lastspitzenreduktion verfügbare Reduktionsleistung sowie die verfügbare Dauer. Bei Auftreten einer Lastspitze wird aus diesen Informationen die am besten geeignete Einzelanlage oder eine Kombination von mehreren Anlagen ermittelt, um die aktuelle hohe Last abdecken können. Dabei werden die verschiedenen Randbedingungen der Anlagen, wie z. B. Mindestlaufzeiten berücksichtigt. Außerdem wird der momentane Zustand der Anlage beachtet, um Schaltvorgänge zu reduzieren. Besonders wichtig für die Komponentenauswahl ist die Unterscheidung, ob die verfügbare Leistung konstant oder variabel ist. Das Batteriesystem als flexibler und dynamischer Speicher nimmt dabei eine Sonderrolle ein. Aufgrund seiner schnellen Reaktionszeit wird es zur Überbrückung während der Einschaltvorgänge langsamerer Anlagen genutzt.

Aufbauend auf den Erkenntnissen aus ToSyCo unterstützt das Fraunhofer IISB seine Partner bei der Planung und Umsetzung von klimaneutralen intelligenten dezentralen Energiesystemen und bearbeitet Projekte in den Bereichen Entwicklung von Komponentenmodellen für energietechnische Anlagen, Lastprognosen, Entwicklung von intelligenten Betriebsstrategien und Steuerung-/Regelungsalgorithmen sowie Auslegung von Anlagen und Speichern für ein optimiertes Energiemanagement mittels prognosebasierter Simulation.

Über Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB

Das 1985 gegründete Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB betreibt entsprechend des Fraunhofer-Modells angewandte Forschung und Entwicklung in den Geschäftsbereichen Leistungs- und Energieelektronik und Halbleiter. Dabei deckt das Institut in umfassender Weise die Wertschöpfungskette für komplexe Elektroniksysteme ab, vom Grundmaterial zum vollständigen Elektronik- und Energiesystem. Schwerpunkte liegen in den Anwendungsgebieten Elektromobilität und Energieversorgung.

Das Institut erarbeitet für seine Auftraggeber Lösungen auf den Feldern Materialentwicklung, Halbleitertechnologie und -fertigung, elektronische Bauelemente und Module, Aufbau- und Verbindungstechnik, Simulation, Zuverlässigkeit, bis hin zur Systementwicklung in der Fahrzeugelektronik, Energieelektronik und Energieinfrastruktur. Das IISB verfügt u.a. über umfangreiche Halbleiterprozesstechnik, ein Testzentrum für Elektrofahrzeuge und ein Anwendungszentrum für Gleichstromtechnik.

Der Hauptstandort des Fraunhofer IISB ist in Erlangen, daneben gibt es Standorte am Energie Campus Nürnberg (EnCN) sowie in Freiberg.

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