
Was denkt die KI sich nur dabei?
Was passiert eigentlich, wenn die mittlerweile zahllosen Künstlichen Intelligenzen im Internet über die Frage eines Menschen nachdenken? Wie kommen Programme wie ChatGPT zu ihren Antworten? „Das Manko vieler KI-Modelle ist, dass die Ergebnisse nicht erklärbar sind. Sie sind eine wahre Blackbox“, sagt Dr. Jennifer Hannig. Sie forscht in Friedberg am Kompetenzzentrum für Informationstechnologie (KITE) schon seit Jahren an der Nutzung von KI für kardiologische Anwendungen. Die bekanntesten Projekte, durch die Digitalisierungs-Förderung Distr@l des Landes Hessen unterstützt, sind im hausärztlichen Kontext RisKa, das EKG-Daten interpretiert und den Medizinern erlaubt, verlässliche Verdachtsdiagnosen zur Überweisung an Fachärzte bereits vor den ersten spürbaren gesundheitlichen Einschränkungen zu stellen, sowie die notärztliche Weiterentwicklung HERMIQS. „Für uns ist es wichtig, dass solche sensiblen Ergebnisse nachvollziehbar sind“, sagt Hannig.
Deshalb leitet sie seit dem vergangenen Herbst eine Forschungsgruppe, die sich der Erklärbarkeit solcher Analysen annimmt. Erklärbare künstliche Intelligenz (engl.: Explainable Artificial Intelligence, XAI) werden solche Modelle genannt. „Gerade für Zeitreihen-Daten gibt es noch nicht viele erklärbare KIs“, sagt Hannig. Diese Forschungslücke soll das Projekt TimeXAI schließen, das über das Programm „Förderung von wissenschaftlichen Nachwuchsgruppen unter Leitung von Frauen im Bereich der KI“ (ExperTeam4KI) des Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt mit knapp 1,1 Millionen Euro für drei Jahre gefördert wird. Unter anderem werden damit eine Post-Doc Stelle, zwei Promotionsstellen und eine studentische Hilfskraft finanziert. Projektträger ist das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), mit dem auch die Auftaktkundgebung in Friedberg stattfand.
In der Forschung stützt sich Hannigs Team vorerst auf zwei Bereiche: Herzgesundheit und das sogenannte Smart Home. Das erstere ist eine Kooperation mit dem Forschungsprojekt HERMIQS der THM und der Justus-Liebig-Universität Gießen. Für letzteres liefert mit Veli ein Startup der Universität Kassel Daten. Dort wird eine KI entwickelt, die aus den Verbrauchsdaten von Wasser und Strom typische Muster erstellt und damit auf Notfälle – etwa eine durch Sturz verursachte Hilflosigkeit älterer Menschen – reagieren kann. „Wir möchten eine neue XAI-Technik entwickeln“, sagt Jennifer Hannig, indem die Nachwuchsgruppe Stärken und Schwächen bestehender Methoden analysieren und die Stärken in einer neuen Methode kombinieren. Durch die Entwicklung eines offenen Datensatzes können die Projektarbeiten dann in einem experimentellen Setting evaluiert werden. In einem späteren Projektstadium sollen dabei Testpersonen eine aktive Rolle einnehmen.
Insgesamt gehe es ihr darum, Vertrauen in die neue Technologie zu schaffen, erklärt Hannig. Dazu sei es essenziell, dass Menschen verstehen, wie ein Ergebnis zustande kommt. Dass Fachpersonen wie etwa Kardiologen erkennen können, ob eine Verdachtsdiagnose auf validen Daten beruhe – oder eine fixe Idee der KI sind, wie es bei Sprachmodellen wie ChatGPT regelmäßig vorkommt. „Letztlich dient das auch der Verbesserung der Technologie“, sagt Hannig.
Für sie ist das Projekt zudem ein Schritt auf ihrem Weg zu einer möglichen Professur. Die Fördermaßnahme dient der Umsetzung der KI-Strategie der Bundesregierung, die als Zuwendungsvoraussetzung unter anderem „exzellente Veröffentlichungen in international hochrangigen Fachzeitschriften“ nennt. Internationale Forschungserfahrung ist ausdrücklich gewünscht, ebenso wie internationale Kooperation. „Wir werden hier mit unseren Partnern aus Indien zusammenarbeiten“, sagt die Forschungsgruppenleiterin. Die noch jungen Kontakte der THM nach Allahabad, wo intensiv an Künstlicher Intelligenz geforscht wird, seien wie geschaffen für das Projekt.
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Von Open-Air-Konzerten und flüssigem Verkehr
Lukas Roskosch, Nadine Dersch, Lukas Gail und Alisa Lorenz präsentierten ihre bisherigen Ergebnisse im 12. Promovierendenkolloquium an der THM und stellten sich den Fragen des Publikums. Prof. Dr. Benedikt Model vom Fachbereich Mathematik, Naturwissenschaften und Informatik moderierte die Veranstaltung und kündigte die Teilnehmenden und ihr Promotionsthema kurzweilig und unterhaltsam an.
Dass Promovieren an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) schon lange etabliert und doch eine Besonderheit ist, erklärte Vizepräsident Prof. Dr.-Ing. Jochen Frey. Immer mehr Promotionen laufen über ein Promotionszentrum, wie das für Ingenieurswissenschaften am Forschungscampus Mittelhessen oder unter eigenständigem Promotionsrecht, wie es die THM in der Fachrichtung Life Science Engineering erworben hat. Andere Promotionen an der THM laufen in Kooperation mit Universitäten im In- oder Ausland. Nadine Dersch etwa wählte die Universitat Rovira i Virgili im spanischen Tarragona.
Das ist eine der wenigen Universitäten in Europa, die auf Nanoelektronik spezialisiert ist – Derschs Spezialgebiet, für das sie schon in ihrem Bachelorstudium Elektro- und Informationstechnik großes Interesse entwickelte. So kam sie auch in die Arbeitsgruppe von Prof. Dr.-Ing. Alexander Klös und bewarb sich schließlich um eine Promotionsstelle. Nun beschäftigt sie sich ausgiebig mit der Erforschung von Simulationsverfahren für sogenannte memristive Bauelemente. Diese können unter Einwirkung einer Spannung dauerhaft ihren elektrischen Widerstand ändern und als Synapsen in besonders energieeffizienten künstlichen neuronalen Netzen verwendet werden. Auf dieser Grundlage könnten zukünftig KI-Anwendungen mit wesentlich geringerem Energieverbrauch realisiert werden, als dies heute in Rechenzentren möglich ist.
Zu Beginn seines Vortrags spielte Lukas Roskosch den Mitschnitt eines Live-Konzertes ab. Das Konzert ist eines von 130, bei denen im Rahmen der Forschungsarbeiten Messdaten zu verschiedenen Musikgenres erhoben wurden. Veranstaltungs- und Freizeitlärm führt immer wieder zu Konflikten. „Klassikkonzerte sind die leisesten“, erklärte er. Als studierter Eventmanager und Freizeitmusiker hat es sich Roskosch in seiner Dissertation zur Aufgabe gemacht, ein Modell zu entwickeln, das zeigt, wie sich tieffrequenter Schall ausbreitet. Besonders bei Veranstaltungen ist oft viel Energie im tieffrequenten Bereich vorhanden, wobei vereinzelt sogar der Infraschallbereich angeregt wird: „Da sind Töne dabei, die wir eher taktil, anstatt auditiv wahrnehmen“, erklärte er. Damit Veranstalterinnen und Veranstalter, aber auch Behörden nicht nur mit dem subjektiven Lärmempfinden der von einem Open-Air-Konzert Betroffenen konfrontiert werden, soll sein erforschtes Modell möglichst genau abschätzen, wie hoch die Schalleinwirkung im Innenraum eines Wohngebäudes ist, ohne im Innenraum selbst messen zu müssen. Dabei berücksichtigt er für seine Berechnungen unter anderem auch Baunormen und die Geländetopografie.
Ein „Promotionsthema ohne unmittelbare gesellschaftliche Relevanz“ ist nach eigener Einschätzung das von Lukas Gail. Er entwickelt eine neuartige Programmiersprache, die zwei wichtige Eigenschaften miteinander verbindet, was bisher in der IT unmöglich war: reversibel und irreversibel zu sein, also umkehrbar und nicht umkehrbar. „Bisher ist beispielsweise das Versenden von Daten ein doppelter Aufwand“, erklärte Gail zu Beginn. Wer einen Ordner mit mehreren Dateien versenden möchte, muss diesen in das zip-Format packen, der Empfänger diesen Ordner wieder „entzippen“. In der Softwareentwicklung müssen beide Operationen einzeln programmiert werden. Reversible Programmiersprachen hingegen erlauben es, nur eine Operation implementieren zu müssen, und die Gegenrichtigung „geschenkt“ zu bekommen. Seine neu entwickelte „hybride“ Programmiersprache erlaubt es, solche reversiblen Operationen mit klassischen, nicht-reversiblen Systemen zu vereinbaren. Damit werden die Vorteile beider Herangehensweisen nutzbar. Momentan arbeite er daran, die Programmiersprache öffentlich zugänglich zu machen.
Eine sehr praktisch orientierte Promotionsarbeit will Alisa Lorenz vorlegen. Sie beschäftigt sich mit dem Verkehrsfluss in Wetzlar, wenn die Stadt von einer Großbaustelle geprägt sein wird. Dafür soll eine eigene Applikation entwickelt werden, die Nutzende tagesaktuell über Baustellen informiert und ihnen den für ihre Bedürfnisse besten Weg anzeigt. Sie soll am Smartphone, aber auch am Desktop-PC nutzbar sein. „Ich habe mich mit der Thematik beschäftigt, wie eine solche Anwendung am besten von der Bevölkerung akzeptiert und auf deren Bedarfe angepasst werden kann“, erklärte sie. Dafür hat sie Bürgerinnen und Bürger aus Wetzlar eingeladen und in Arbeitsgruppen die Anforderungen ermittelt. 404 Kriterien an eine mögliche Software sind insgesamt zusammengekommen, 124 ohne Duplikate. „Für die Softwareentwicklung ergibt sich ein positiver Effekt auf Qualität und Nutzen, wenn mit betroffenen Personen gesprochen wird“, fasste Lorenz zusammen. Im November und Dezember dieses Jahres wird die Applikation, die den Verkehrsfluss durch Wetzlar optimieren soll, final evaluiert. Bürgerinnen und Bürger aus der Stadt können sich noch bei der Promovierenden melden, um daran teilzunehmen: alisa.lorenz@w.thm.de.
Das Promovierendenkolloquium wird von Dr. Sina Weidenweber und Dr. Ann-Kathrin Beretz organisiert. Beide sind im Referat Forschung und wissenschaftlicher Nachwuchs tätig. Der Fachbereich Management und Kommunikation stellte für das Promovierendenkolloquium den Löbershof zur Verfügung: Die Studierenden und Mitarbeitenden sorgten während der Veranstaltung für eine ansprechende Atmosphäre, eine gut ausgeleuchtete Bühne und den richtigen Klang.
Die Technische Hochschule Mittelhessen (THM) ist eine der größten Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) in Deutschland und bietet über mehr als 80 Studiengänge an 12 Fachbereichen und das duale Studienangebot von „StudiumPlus“ an. Die Hauptstandorte Friedberg, Gießen und Wetzlar liegen verkehrsgünstig in der hessischen Rhein-Main-Region. Die derzeit mehr als 15.600 Studierenden der THM profitieren von bewährten Studienbedingungen und kleinen Lerngruppen sowie von der Zusammenarbeit mit regionalen Unternehmen. Unter den HAWen zeichnet sich die THM durch ihre anwendungsbezogene Forschungsstärke aus. Neben acht eigenen, interdisziplinären Kompetenzzentren besteht eine Zusammenarbeit mit den Universitäten in Gießen und Marburg, über die auch kooperative Promotionen in den Ingenieurwissenschaften möglich sind. Als erste HAW eröffnete die THM 2016 zudem ein eigenständiges Promotionszentrum und besitzt seither das Promotionsrecht für den Doktoringenieur.
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